paperbag [reBORN] – konzeptionelle Performancefotografie


Foto & Konzept: Andreas Ender, photo-art+painting | Baggie #026/f - reBORN am 13-02-2010
Foto & Konzept: Andreas Ender, photo-art+painting | Baggie #026/f - reBORN am 13-02-2010

 

paperbag [reBORN]

eigentlich machte ich bisher nur Fotos denen Andere einen Impuls für Kunst geben. Für mich eine kreative Ausdrucksform um eine Zielgruppe zu begeistern. Doch bei paperbag [reBORN] ist es anders:

Nach vielen Ups and Downs in meiner bald 25jährigen Kunst schaffenden Tätigkeit, startete ich nach einer strukturierten Schaffenspause am 21-11-2008 die neue Serie "paperbag [reBORN]". Da sich scheint’s in dem großen Dorf Rheintal jede/r kennt und manche meiner Modelle lieber unerkannt bleiben wollen, bietet sich diese Art der konzeptionellen Performance Fotografie die Möglichkeit an sich anonym, erotisch fotografieren zu lassen. Jedes weibliche Modell welches an dieser Serie Interesse zeigt bekommt einen eigenen Papiersack. Diesem gestalte ich aus verschiedenen Ausschnitten die ich die letzten Jahre zusammengetragen habe, ein eigens angefertigtes Gesicht. Ein nummeriertes und an jedem teilgenommenen shooting datiertes Unikat für sich. reBORN (wiedergeboren) deshalb, da aus dem Altpapier ein neues Gesicht zusammenfügt und durch das Modell der Papiertüte etwas Leben, Gefühl und Ausdruck eingehaucht wird. So hat alles angefangen:

 

paperbag [embryo]

das Projekt entwickelt sich ständig weiter und es besteht die Möglichkeit die Embryos online zu betrachten. Diese vorbereiteten Gesichter warten darauf geboren zu werden! Die Besucherinnen meiner Webseite können sich online ihr „ungeborenes“ Gesicht aussuchen und sich gleich für eine exklusive Serie anmelden. Männer bekommen ein neutrales paperbag.

Das Projekt ist 2010 gereift und es wurden bis dato bereits 35 unterschiedliche Modelle geboren. Das erste Shooting findet immer vor demselben Hintergrund im Fotostudio statt – sozusagen der Kreissaal – die Geburt. In Folge werden unterschiedliche Locations aufgesucht oder in der Natur fotografiert.

Jedes shooting wird wie bei einem Lebenslauf auf der Papiersackrückseite mit Datum festgehalten. Das paperbag Gesicht kann sich auch durch die Monate / Jahre verändern so wie man sich selbst verändert. Die Grundzüge bleiben immer gleich, jedoch können Augen, Mund oder Haare ausgetauscht werden. Es wird auch an einer paperbag [reBORN] ID Karte gearbeitet mit der die Modelle verschiedene Vergünstigungen die noch definiert werden müssen erhalten. So wird immer mehr eine eigene künstliche und durchaus künstlerische Identität erschaffen.

 

paperbag [Klon]

Zu jeder Ausstellung erhält die Galerie ein für sich ausgewähltes Gesicht in einer limitierten Serie von zirka 100 Stück auf Papiersäcke gedruckt. Diese durch die identische Vervielfältigung sogenannten „Klone“ können als Gebrauchskunst z.B. als Einkaufstüte verwendet werden oder jetzt schon zu einem Sammlerstück für Interessenten geboren bzw. geklont werden.

Die Fotos werden in einer limitierten 5er Auflage auf Plexiglas ausgearbeitet und entsprechend präsentiert. Unikate sind aus derselben Serie auch möglich. Die Papiersäcke können auf Wunsch gezeigt werden, bleiben aber unverkäuflich. Sie haben eine Identität bekommen mit einer gewissen Lebendigkeit.

 

Interview mit Norbert Brunner, Dezember 2010

Zum Konzept von paperbag [reBORN]:

 

-              was ist für dich ein Foto?

eine Momentaufnahme. Wiederholung eines Gefühls. Herausforderung.

Ein Foto ist für mich die Ausdrucksweise meiner Kreativität. Vordergründig mache ich Fotos für mich selbst und um damit auch meine Sichtweise der Dinge anderen zu zeigen die daran Gefallen finden.

 

-              wie entstanden die Gesichter auf dem Bag?

ein leerer Sack hat nicht die Ausstrahlung wie das recycelte Gesicht. Ich habe aus „Altpapier“ die diversen Schnipsel geschaffen und zu einer neuen Einheit zusammengefügt.

Frau: Orientiert sich an den Top Modellen dessen Aussehen das Frauendasein haben sollte um den Männern zu gefallen. Welche Frau wäre nicht gerne ein Victoria Secret Modell. Auch wenn man bekanntlich für die Schönheit leiden muss und viele sich dafür auch unters Messer legen, ist das Ergebnis nicht immer aus dem Katalog entsprechend. Manchmal geht dieser chirurgische Eingriff auch daneben und es entstehen dabei leere, ausdruckslose Masken der Gesellschaft. Von jedem perfekt recycelten Gesicht sich den für seine Bedürfnisse geeigneten Teil aussuchen zu können. Das Gesicht aus dem Katalog – Fashionmagazin oder Bildbearbeitungsprogramm. So kamen die Schnipsel und von mir benannte „Modellrecycling“ zu paperbag [reBORN] für die Frauen zustande.

Mann: obwohl die Metrosexualität Einfluss auf das ursprüngliche Mannsbild nahm, möchte ich beim Mann kein Gesicht in der Serie beibehalten. Die Darstellung des Mannes in paperbag [reBORN] bleibt zweckdienlich als unscheinbaren Begleiter an der Seite einer schönen Frau.

 

-              warum nur Frauen?

Mir standen zu anfangs des Projektes einfach mehr Frauen als Männer zur Verfügung. Auf jedes 20. weibliche Modell kommt vielleicht ein Mann der vor der Kamera steht. Paperbag ist gewachsen und ich habe auch schon das erste Paar Experiment. Männer die dann zukünftig bei diesem Projekt mitwirken bekommen wie bereits erwähnt einen sehr neutralen, leeren Sack (ohne Gesicht).

Frauen sind allgemein schönheitsorientierter als die Männer. Frauen möchten dem Schönheitsideal das von den Medien gemacht wird entsprechen. Möchten sich ständig verändern und sind nie 100% zufrieden. Aus meiner Erfahrung sind Frauen mehr bereit sich fotografieren zu lassen als Männer. Die Wertschätzung und das sich selbst bewundern liegt einer Frau mehr als einem Mann. Daher sind in meinem Projekt auch viel mehr Frauen als Männer vertreten. paperbag [reBORN] ist offen für jeden Menschen – es gibt keine Einschränkung meinerseits.

 

-              wie hast du die Modelle ausgesucht? Bleibt es bei 35?

hier wird nicht selektiert – jede/r die Lust hat an dem Projekt teilzunehmen, darf teilnehmen. Auch steigt die Teilnehmerzahl und ich möchte mich anhand der verschiedenen Gesichter noch nicht limitieren. Es ist ja jedes für sich ein Unikat.

 

-              du hast das Rheintal angesprochen. Gibt es nur Fotos mit Models aus dem Rheintal?

Nein, mit der Präsentation des Projektes über die Grenzen des Rheintals hinaus wird sich die Umsetzung und der Stil sich den Gepflogenheiten des jeweiligen Landes und dessen Gesetze angleichen. Das Projekt ist eine Metamorphose – die Gesichter ändern sich mit der Zeit obwohl die Grundzüge gleich bleiben und jeder Lebensabschnitt in Verbindung mit dem vorherigen Foto nachvollzogen werden kann. Das Grundprinzip der Anonymität, des Beautyrecycling und der Widergeburt in eine schönere, heilere Welt soll dennoch bleiben.

 

Es sind schon Modelle aus Salzburg, Tirol und Oberösterreich dabei – auch 2 von der Schweiz und eine aus Asien. Jedoch war es eben ursprünglich für die regionalen Modelle gedacht um vorerst die Idee realisieren zu können. Erst im späteren Verlauf wird auch hier ein Wandel stattfinden und das Projekt wächst durch die Präsentation und Ausstellung weiter.

 

Weiters habe ich auch an eine Aktionskunst zu den Vernissagen und den Terminen davor oder danach gedacht. Es sollte die Möglichkeit besteht an dem Projekt Vorort als Modell teilzunehmen – oder auch eben dann speziell ein shooting für diverse Anlässe buchen – wie eben eine ausgefallene Hochzeitsserie oder was auch immer. Das darf sich weiterentwickeln wenn der Bekanntheitsgrad steigt.

 

Da es von meiner Seite aus keine Einschränkung auf das Geschlecht, Religion, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Herkunft gibt ist die Serie paperbag [reBORN] offen für die ganze Welt in der es Menschen gibt die daran teilnehmen möchten. Ich bin mir mit dieser Serie absolut sicher und diese Sicherheit soll mir eine große Freiheit bieten immer und überall das Projekt umsetzen zu dürfen und der Öffentlichkeit zu zeigen. Paperbag [reBORN] soll im Alltag sichtbar werden.

 

-              wie wichtig ist der Hintergrund?

Ein Hintergrund ist z.B.: auch ohne Adobes Photoshop kreativ zu sein J

Jede/r kann schön sein wenn man sich entsprechend wertschätzt und akzeptiert wie bzw. wer man ist. Das Versteckspiel und der Schein dominieren in unserer Gesellschaft. Durch den Papiersack kann jede/r dann sein der er gerne wäre und muss niemand was vormachen, außer sich selbst. Auf das soll in paperbag [reBORN] unter anderem auch aufmerksam gemacht werden. Recycling ist ein weiteres Thema auf das ich bei dieser Serie aufmerksam machen möchte.

 

-              wer inszeniert die Stellung und das out fit?

beides ich, das out fit wird von mir zusammengestellt und drapiert - Kombination aus mitgebrachtem und vorhandenem Krimskrams. Die Stellung wird grob von mir vorgegeben und während dem shooting begleitet – das Modell wird eins mit ihrem paperbag

 

Stellung: wird davon ausgegangen, dass die Posen sehr technisch wirken sollen. Wie bei einem Roboter dessen Fernbedienung nicht mehr richtig funktioniert oder auch manipuliert wurde. Spastisch durch die Integration in das neue selbst (ich). Dies jedoch wandelt sich dann im Lebenslauf wie im richtigen Leben in homogenere Darstellungen. Wie ein Baby das über das Krabbeln dann das Laufen lernt und vom Kind über die Pubertät erwachsen wird.

 

Out fit: wir sind nackt bei der Geburt. Wir werden angekleidet – so wird das Modell auch von mir angekleidet. Um auch auf das Recycling aufmerksam zu machen, werden neue Kleider mit alten kombiniert. Unvollständige, Zerrissene, ausgetragene, aus der Mode gekommene Kleidungsstücke die in der Kombination mit dem Neuen durch die Präsentation in einen eigenen Stil für paperbag [reBORN] gewandelt wird. Darin verbirgt sich wieder das Unschlüssige und innerlich zerrissene Selbst – das Jing Jang das in Einklang gebracht werden möchte.

 

-              sind es Vorlagen oder selbst fotografiert?

es sind sozusagen Vorlagen die ich aus diversen regionalen PR-Flugblätter oder diversen Magazinen habe. Das wird sich bei der immerwährenden Weiterentwicklung ändern, dass ich in späteren Gesichtern eigene Fotos einarbeiten werde bzw. nur noch aus Eigenen sein werden.

 

-              warum nicht Collagen aus deinem Fundus? deine Story?

Ich orientiere mich hier an den Medienschönheiten. Recyclingmodelle um auch auf die Schnelllebigkeit im Modellbusiness aufmerksam zu machen. Heute noch aktuell – morgen schon im Altpapier. Wiedergeboren durch das Projekt paperbag [reBORN] – Ich mache meine Story daraus. Meine künstlerische Tätigkeit der letzten 25 Jahre war ein Lernprozess um dahin zu kommen wo ich mich mit diesem Projekt jetzt fühle. Mein Fundus bietet nicht die Vielfalt an Gesichtern die ich meinem Empfinden nach für die Serie brauche. Es schlummern andere Ideen in dem Fundus die später mit dem Erfolg von paperbag [reBORN] mit einer neuen Wertigkeit auch wiedergeboren werden dürfen.

 

-              wie wichtig ist das Material auf dem du es druckst?

der Trend gibt plakativ und dekorativ die Leinwand vor. Ich habe mich jedoch für Plexiglas entschieden. Hier finde ich, entspricht der Träger meines Projektes der Zeit. Alles aus Plastik. Alltagsgegenstände, Spielsachen, Sex, Medizin, Umweltverschmutzung, Kunst uvm. Sollte auch nochmals das Thema Recycling unterstreichen. Alles kann vergänglich sein und in einer anderen Form neu erschaffen (wiedergeboren) werden.

 

-              was ist für dich die Main Message?

Die Main Message steckt in den vielen Antworten drin. Meiner Meinung nach ist niemand 100% zufrieden und sieht sein eigenes Missing Piece in diesem Projekt. Das fehlende Teilchen um einen Schritt der Perfektion näher zu kommen. Einfluss von den Medien aufzeigen. Durch die Anonymität die Scham und Unsicherheit hinter dem Papiersack zu verbergen. Dem Wunsch nachkommen Perfekt sein zu wollen. Sich durch das Rollenspiel und der Maske besser zu fühlen. Plastische Chirurgie durch Altpapier Recycling.

 

paperbag [reBORN] ist im 12 Monat schwanger und muss nun auf die Welt gebracht werden. Ich fühle das Potential und hoffe auf Interessierte die das Wertschätzen was ich mir zur Aufgabe gemacht habe.